Lucy will nicht in die Schule

(Ruth Zenhäusern, München, 16. Februar 2003)

Es regnet. Lucy will nicht in die Schule. Lucy will bleiben, wo sie ist: zu Hause bei der Mama.
Denn sie haben es gut miteinander. Die Mama näht. Und Lucy spielt. Manchmal spielt die Mama mit Lucy verkaufen. Dann ist Lucy glücklich. Das ist fast immer so, wenn es regnet.

Wenn die Sonne scheint, will Lucy auch nicht in die Schule. Sie will bleiben wo sie ist:
Im Garten hinter dem Haus, wo sie Himbeeren pflückt. Oder auf der Steintreppe vor ihrer Wohnung, die von der Sonne aufgewärmt ist. Dort spielt sie mit ihren Puppen. Lucy ist die Lehrerin. Oder im kleinen Wäldchen hinter dem Haus, wo sie mit ihrer Freundin auf die Bäume klettert. Ganz hoch hinauf, von wo Lucy bis nach Hause sehen kann.

Und Lucy will nicht in die Schule, weil man dort lesen lernt. Und schreiben. Und das kann Lucy schon. Noch nicht alle Buchstaben, aber viele. Und in der Schule muss man stillsitzen. Wenn man sprechen will, muss man die Hand hochhalten. Und meistens wird man nicht gefragt. Weil so viele Kinder da sind, die etwas sagen wollen. Nein, Lucy ist ganz sicher: Schule gefällt ihr nicht.

Aber der Sommer ist bald vorbei. Der erste Schultag rückt näher. „Übermorgen musst Du in die Schule“, sagt die Mama. Lucy ist traurig. Warum wird sie weggeschickt? Sie war doch die ganze Zeit brav!

Am nächsten Morgen kommt die Mama in Lucys Zimmer. Das Bett ist leer. Wo ist Lucy? Die Mama sucht Lucy. Unter dem Bett. Im Schrank. Aber da ist sie nicht. Lucy ist nirgends. Die Mama holt den Papa: Lucy ist weg !!

Aufgeregt rennen sie los. Wo suchen? Bei den Nachbarn? Im Wäldchen? Hinter dem Haus?
Sie finden Lucy nicht. Später muss der Papa zur Arbeit. Er geht zum Bahnhof. Die Mama geht mit. Sie will alle Leute fragen, ob sie Lucy gesehen haben. Als sie zum Bahnhof kommen, sitzt Lucy auf der Bank. Neben sich das kleine Köfferchen. Und die Lieblingspuppe.
„Nimm mich mit, Papa“, sagt Lucy. Da lacht er, hebt sein Kind hoch und nimmt es mit auf die Lokomotive. Dort arbeitet er. Da lacht auch die Mama. Und steigt ebenfalls ein.
Dann fahren sie los. Sie fahren den ganzen Tag. Lucy ist stolz. Ihr Papa ist der Grösste. Er befiehlt der Lokomotive zu fahren oder stillzustehen.

Und morgen – morgen geht Lucy in die Schule und erzählt allen Kindern von ihrer Reise. Auch der Lehrerin. Denn morgen, da beginnt die Schule.

Ruth-Lucy_Ausschnitt_1949
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Abb.1 : Das ist die kleine Lucy…
Zenhaeusern Rafael vor Lok

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Abb.2 : … und das ist der Papa der kleine Lucy vor seiner Lok

Aktualisiert: 11. April 2016 (16. Feb 2003)