Filme übers Schreiben 2/6: Autoren-Schicksale
Ergänzende Vorschläge von Lesern dieses Newsletters (danke!)
haben meine eigene Liste beträchtlich erweitert. Das erforderte zusätzliche Recherchen; so mancher Film musste noch einmal angeschaut oder gar erst besorgt werden. Deshalb die verspätete Zusendung dieser Ausgabe des Newsletter. Aus dem gleichen Grund habe ich mich entschlossen, aus dem geplanten Dreiteiler einen Vierteiler zu machen:
(1 Wunderwelten)
2 Autorenschicksale
(3 Schreibblockaden -und wie man sie lösen kann)
(4 Menschheit ohne Schreiben?)
Den Beruf „Autorin“ resp. „Schriftsteller“ gibt es eigentlich nicht. Man kann zwar mancherorts schon Seminare im „Romanschreiben“ belegen (wie bei uns im IAK) – aber eigentlich geht jede Autorin und jeder Schriftsteller einen ureigensten Weg und muss mühsam herausfinden, was sie / er mit dem Schreiben bewerkstelligen möchte und welches handwerkliche Rüstzeug man sich dafür erarbeiten muss. So etwas wie eine „dreijährige Lehre“ (wie in so ziemlich jedem anderen Beruf) gibt es da nicht. Thomas Wolfe hat in Die Geschichte eines Romans detailliert beschrieben, wie so eine Lern-, Lehr- und Leidenszeit aussehen kann – und das erstreckte sich über weit mehr als drei Jahre.
Dieser komplexe Verlauf hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass individuelles Schicksal, Persönlichkeitsstruktur, soziale Herkunft, die Zeitläufte und manches mehr den kreativen Fluss beim Schreiben eines Romans oder Sachbuchs ebenso bestimmen wie persönlihe Vorlieben und Interessen.
Das sieht man deutlich bei den Beispielen, die ich nun vorstellen möchte. Da es sich nach meiner Einschätzung und Bewertung durchwegs um gute bis sehr gute Filme handelt (wie man schon an den Namen der Regisseure erkennen kann), stellt die anschließende Reihenfolge keine Bewertung dar. (Details in der anschließenden Filmographie).
Vermutlich gibt es hundert, wenn nicht gar tausend Filme unter den mehr als 2,7 Millionen existierenden Lichtspielen, in denen das Schreiben mehr oder minder ausdrücklich eine Rolle spielt. Ich möchte mich auf jene beschränken, die ich selbst kenne. Ein aufmerksamer Leser des Newsletter machte mich auf einen weiteren Titel aufmerksam, den ich mir sofort auf Blu-ray besorgte und anschaute und mit dem ich die „Autoren-Schicksale“ beginnen möchte, um die es diesmal gehen soll: Genius – die tausend Seiten einer Freundschaft.
Es geht um den Karrierestart von Thomas Wolfe (im Film dargestellt von Jude Law) Ende der 1920er Jahre. Damals erhielt der bekannte Verlagslektor Max Perkins (Colin Firth) ein ungeordnetes 1000-Seiten-Manuskript des damals noch völlig unbekannten jungen Nachwuchsschriftstellers, das alle anderen Verlagen in der Stadt abgelehnt hatten.
„Perkins erkennt schnell das Einzigartige dieses Werkes, ist überzeugt, ein literarisches Genie entdeckt zu haben, und lädt den Autor ein. Während des gemeinsamen Versuchs, das Werk herauszubringen, beginnt nicht nur ein schier endloser Kampf um jede Formulierung, sondern auch eine ganz besondere Freundschaft zwischen den beiden Männern. Perkins, der privat nur von Frauen umgeben ist, entwickelt väterliche Gefühle für seinen entdeckten Genius, auch wenn Wolfe arrogant und ungestüm ist und gerne trinkt. Perkins Verlag gibt den Roman mit großem Erfolg heraus. Auch wenn Wolfe die Gefühle seiner Mitmenschen oft mit Füßen tritt, kann er sie doch meisterlich beschreiben und avanciert so zum Liebling der New Yorker Gesellschaft. Als die beiden an Wolfes zweitem Roman Von Zeit und Strom arbeiten, muss Perkins diesen ebenfalls stark kürzen, während Wolfe unterdessen ständig neue Absätze hinzufügt.“
Dieser Beschreibung in der Wikipedia ist wenig hinzuzufügen. Der zweite Teil des deutschen Titels des Films „- die tausend Seiten einer Freundschaft“ – trifft recht gut sowohl den Umfang des ersten Manuskripts (Look Homeward, Angel, 1929, dt. „Schau heimwärts Engel“) als auch die Vielschichtigkeit der Beziehung von Autor und Lektor. Deren Bedeutung für den Autor kann man daran ablesen, dass Wolfe den ersten Roman noch seiner Geliebten gewidmet hat – den zweiten hingegen seinem Lektor (Of Time and the River, 1935 -dt. „Von Zeit und Strom“).
Aufschlussreich ist auch das Tagebuch, das Wolfes Arbeit am Romanerstling begleitet hat: Die Geschichte eines Romans (1936) deutsche Übersetzung o.O. 2017.
Fast wie ein Gegenentwurf dazu ist das Schicksal von Colette. Sie arbeitet zunächst als eine Art Ghostwriter für ihre Filou von Ehemann Willy, der sie schamlos ausnützt. Bis die junge Frau ihm den Laufpass gibt und ab da unter eigenem Namen veröffentlicht. Ihre – sehr autobiographsich geprägten – Geschichten wie Mon Petit sind nicht so hochliterarisch und ambitioniert wie die von Wolfe – aber sie Colette ist damit enorm erfolgreich, wird als eine der wenigen Frauen 1945 eines der zehn Mitglieder der Académie Goncourt und im Jahr 1949 deren Vorsitzende. Als Colette Jahr 1954 stirbt, erhält sie als erste Frau in Frankreich ein Staatsbegräbnis. Noch höher sind wohl ihre Verdienste als Vorkämpferin für die Rechte der Frauen einzuschätzen.
Der Film lebt von der exzellenten Darstellung durch Kira Knightley in der Titelrolle und den zeitgeschichtlichen und lokalkoloritischen Details im Paris jener Zeit.
Einen echten Ghostwriter stellt der frühere James-Bond-Darsteller Pierce Brosnan im Film gleichen Titels dar, der nach der Vorlage des Thrillers „Ghost“ von Robert Harris von dem polnischen Regisseur Polanski gedreht wurde. Eine wilde Geschichte um die Verstrickungen des britischen Premierministers in US-amerikanische Machtspiele – die für den Ghostwriter fatal enden.
Eine gute Gelegenheit, mal hinter die Kulissen eines Autorenlebens zu schauen, dessen Markenkern es ist, im Gegensatz zum „normalen“ Autor gerade nicht „bekannt“ zu werden.
Bekannt, berühmt sogar war Stefan Zweig. Kein Nobelpreisträger (für Literatur) wie Thomas Wolfe – aber zu Lebseiten sehr erfolgreich. Bis die Nationalsozialisaten die Existenz des jüdischen Dichters systematisch vernichteten, bis hin zur berüchtigten Bücherverbrennung. Der Film mit einem großartigen Josef Hade in der Titelrolle befasst sich vor allem mit dem tragischen Ende durch Suizid vor der Morgenröte (wie der Titel andeutet) im brasiliansichen Exil. Zweigs Sternstunden der Menschheit und die Schachnovelle sind Bücher, die heute noch mit Gewinn gelesen werden.
Wieder ganz anders das Schicksal des (fiktiven) Zwangsneurotikers Melvin in Besser gehts´s nicht. Eine Paraderolle, die Jack Nicholson geradezu auf den Leib geschrieben ist und diesen in einer – wenngleich unfreiwillig – saukomischen Geschichte brillieren lässt. Ich weiß nicht, wie jemand mit solchen neurotischen Handycaps in der Lage sein soll, Bücher zu verfassen – aber dieser Melvin schafft das. Und ein filmisches Vergnügen ist es allemal. Man darf eben bei Hollywood-Filmen und bei Filmen überhaupt nicht so kritisch sein, was die Logik des Geschehens angeht.
Basic Instinct stellt uns eine Autorin vor, die total anders gestrickt ist als Colette. Catherine Tramell (Sharon Stone) erweckt Verdacht, weil sich einige besonders brutale Morde (mittels Eispickel aus einer Küche) erstaunlicherweise sehr detailliert in Bestsellern aus ihrer Produktion nachlesen lassen. Das macht nicht nur Detektiv Nick Curran (Michael Douglas) stutzig. Was allerdings nicht verhindert, dass er der schönen verführerischen Frau rasch verfällt. Was böse enden kann… Mehr sei nicht verraten – Gänsehaut pur!
Die Frau des Nobelpreisträgers (im Original schlichter und somit den Kern der Geschichte besser treffend: „The Wife“) begleitet ihren Mann nach Stockholm, wo er den Literaturnobelpreis entgegennehmen soll. Joan Castleman war in jungen Jahren selbst eine vielversprechende Autorin, die ihre eigene Karriere jedoch der ihres Mannes untergeordnet hat. In der Aufregung vor dem „großen Tag“ platzt ihr der Kragen und sie lässt all ihrem aufgestauten Frust freien Lauf: Der Nobelpreis gebührt in Wahrheit nicht ihm – sondern ihr! Sie hat das hochgelobte Werk des im eigenen Schaffen eher mittelmäßigen Gatten verfasst! Was für ein Kontrast zu Basic Instinct!
Ebenfalls mit einem völlig anderen Typ von Frau hat es der junge, noch erfolglose Autor Paul Varjak zu tun, der sich bislang von einer wohlhabenden Gönnerin aushalten ließ und nun dieser schillernden Holly Golightly verfällt. Deren höchstes Lebensziel ist das Frühstück bei Tiffany – eigentlich ein nobles Juweliergeschäft für die Upper Ten, aber eben auch ein Sehnsuchtsort für in der Großstadt gestrandete Landeier wie die hübsche, von Männern umschwärmte Holly (gespielt von Audrey Hepburn in ihrer wohl berühmtesten Rolle).
Verfasser des Romans, dem das Filmdrehbuch zugrundeliegt, war Truman Capote, selbst ein schillernder und sehr erfolgreicher Schriftsteller. Ob man aus dieser Geschichte lernen kann, wie man Romane schreibt? Wohl eher nicht – aber ein Heidenspaß (mit durchaus tragischen Zwischentönen) ist der Film von Regisser Blake Edwards allemal.
Wieder andere Szene, anderes Thema: Wie man Schriftsteller werden kann, erfährt in Forrester gefunden der 16jährige schwarze Underdog Jamal Wallace, der aufgrund einer Wette mit seinen Baseball-Freunden bei einem rätselhaften alten Mann nachts einsteigt. Er wird von diesem gestellt, flieht – und verliert bei der Flucht sein Tagebuch. Als er anderntags zerknirscht bei diesem geheimnisvollen Misanthropen William Forrester an der Tür klingelt (er muss sein Tagebuch unbedingt zurückhaben) und sich entschuldigt, nimmt ihn dieser in einer Mischung aus Ablehnung, Neugier und Wohlwollen gehörig in die Mangel. Aber Jamal hat Glück: Der einstige Erfolgsautor (der sich wie sein reales Vorbild Salinger enttäuscht aus dem Buchmarktrummel in die total Anonymität zurückgezogen hat) erkennt das Talent des jungen Schwarzen und wird zu seinem Mentor. Dazu gehören beherzigenswerte Kraftsprüchen, die in der Tat hilfreich sind, wie sein legendäres:“Hau in die Tasten…“ (… und korrigier den Rohtext erst später).
Ein Traum von einem Film, der zwei grundverschiedene Autorenschicksale zusammenbringt: Eines ganz am Anfang – und eines, das auf sein Ende zugeht (mit dem einstigen James Bond-Darsteller Sean Connery in einer seiner besten Rollen).
Und nochmal ganz anders: Der Teufelskerl (Le Magnifique) ist ein Dutzendschreiber, der für einen Hungerlohn einen Kolportageroman nach dem anderen in seine Schreibmaschine haut. Geschickt schreibt dieser Francois Merlin sich in seinen Trivialromanen den privaten Frust von der Seele: Wenn der Elektriker unverrichteter Dinge abzieht, weil der Klempner noch nicht das Bad repariert hat – dann wird der Kerl in der nächsten Thriller-Szene gnadenlos mit einer Gewehrsalve von „Superagent Bob Saint-Clar“ niedergemäht.
Oder die hübsche Nachbarin, die gerade eingezogen ist und ein wachsendes Interesse an Francois zeigt: Sie wird sofort zum Objekt seiner Begierde. Allerdings nur auf dem Papier, denn der in seinen Romanen so wild agierende „Teufelskerl“ ist in Wahrheit äußerst schüchtern. Was bestens zu seiner Angebeteten passt. Denn die ist, wie es zunächst aussieht, nicht an Francois als Mann interessiert, sondern will ihn bloß für ihre Semesterarbeit an der Universität als willkommenes Beispiel für ein „ausgebeutetes Opfer des kapitalistischen Buchmarkts“ – naja: ihrerseits ebenfalls ausbeuten. Aber Jean Paul Belmondo alias Merlin und Jacqueline Bisset alias Christine kriegen sich natürlich am Ende, nach allerlei Irrungen und Wirrungen, für die der Regisseur Philippe de Broca in dieser köstlichen Komödie geschickt sorgt.
Hätte Erfolgsautor Paul Sheldon sich doch bloß nicht entschieden, seine Serienfigur Misery sterben zu lassen! Da hat er leider Pech, denn sein größter Fan (und der größte Fan von „Misery“) kriegt ihn zu fassen und setzt alles daran, ihn in dieser scheinbar so idyllischen Hütte in der Wildnis zu zwingen, die Erfolgsgeschichte doch fortzusetzen – brutale Eingriffe in ein Autorenbein mit einer Axt inbegriffen. Stephen King (der als Erfolgsautor wahrscheinlich weiß, was die Fans einem alles zumuten, nachzumal in Amerika) zelebriert dieses immer elender werdende Autorenschicksal bis zum bitteren Ende –
Okay: Zum Schluss geht alles gut aus. Was ist schon ein zerschmettertes Bein, wenn der Autor doch noch gerettet wird!
Wer sich selbst als Autor versucht, wird jedenfalls nachdenklich – und die Leser werden sich mit Horror-Vergnügen gruseln – was Roman wie Film überzeugend rüberbringen.
Stephen King hat das Thema „Autor in Nöten“ auch noch ganz anders variiert – mit einem Roman, der als Vorlage für Shining diente. In dieser Geschichte (von Regisseur Stanley Kubrick großartig inszeniert) steigert sich der frustrierte Möchtegern-Schriftsteller Jack Torrance (Jack Nicholson) infolge seiner Schreibblockade buchstäblich in den Wahnsinn. Am Schluss verfolgt er das eigene Kind mit der Axt durch einen verschneiten Irrgarten – Grusel vom Feinsten.
Ähnlich wie der oben vorgestellte 16jährige Jamal in Forrester gefunden, steht auch der gerade mal 15jährige William von Almost Famous ganz am Anfang seiner Karriere. Er will Journalist werden, und zwar für die boomende Musikszene. Sein Traum: Ein Interview mit der aufsteigenden Band „Stillwater“ für das berühmte Magazin Rolling Stone. Um bei der aktuellen Tour der Band dabei zu sein und darüber life zu berichten, lässt er sich sogar auf Abenteuer ein, mit denen auch einer älterer und erfahrenerer Schreiber total überfordert wäre. Ein wunderbarer Film über eine echte Heldenreise mit toller Musik und dem großen Plus, dass es sich um eine wahre Geschichte handelt, Und ja: William kriegt sein Interview ganz zum Schluss doch noch, obwohl der eigensinnige Bandleader sich so stur abweisend stellt. Selten wurde Coming of age so unterhaltsam und überzeugend dargestellt – vor allem, weil die wohlmeinende Mama ihn gewarnt hatte: „Keine Drogen“. Von wegen…
Auch in Midnight in Paris steht ein Autor am Beginn seiner Karriere. Genauer: Seiner zweiten Karriere. Denn Gil Pender ist längst erfolgreich mit seinen Drehbüchern, die in Hollywood sehr begehrt sind.
Woody Allen macht sich in diesem wunderbar entspannten und zugleich sehr beschwingten Film einen Spaß daraus, seine eigene Karreire als immens erfolgreicher Drehbuchautor (und natürlich auch als Regisseur von Weltrang) zu konterkarrieren mit jemandem, der seine eigenen Drehbücher für minderwertiges Zeug hält – verglichen mit einem „richtigen Roman“. Nur will im dieses Schreib-Projekt nicht so recht gelingen (obwohl: 400 Manuskriptseiten davon könnte er Ernest Hemingway – doch gemach, der Reihe nach:)
Die tatsächlich zauberhafte Komödie handelt von der Sehnsucht nach dem „Goldenen Zeitalter“, in dem alles besser war. Angeblich.
Aber die Menschen dort, an jenem scheinbar idealen Ort – sie sehnen sich ihrerseits nach einem noch weiter zurückliegenden „Goldenen Zeitalter“. So Adriana* (die Geliebte von Picasso etc.), in die Gil sich verliebt – und die sich selbst in die eine Generation weiter zurückliegende Belle epoque vor und um 1900 sehnt, mit Toulose-Lautrec und Paul Gaugin im Moulin Rouge“ (die sich wiederum noch weiter zurücksehnen, in die Renaissance mit ihren Vorbildenr Tizian und Rembrandt).
Und der Detektiv, der Gil im Auftrag des misstrauischen Schwiegervaters-in-spe observieren soll – der landet mit seiner Sehnsucht sogar im Palast beim Sonnenkönig.
„Midnight in Paris“ beginnt bereits sehr entschleunigt. Was sich an der Oberfläche wie eine routiniert abgefilmte Postartenidylle ausnimmt (worauf mancher Kritiker des Films reingefallen ist), dient nicht nur der Inszenierung eines berühmten Schauplatzes, der hektisch wie jede andere Weltstadt ist – den jedoch schon das erste Musikstück in etwas ganz anderes verwandelt: Eine gewissermaßen entschleunigte Variante dessen, was das Auge sieht: Sidney Bechets „Si tu vois ma mère“ ist schon von der Entstehungszeit her Signet einer früheren Epoche: Bechet spielte und lebte in den Zwanzigerjahren mehrmals in Paris* und prägte die „Roaring Twenties“ mit seinen Charleston-Rhythemn und -melodien:
° 1920 spielte er in Paris im Apollo in Montmartre
° Auf einer erneuten Europatournee 1925 trat er im Orchester der Revue nègre auf, mit der Josephine Baker ihren Durchbruch erlebte – sie demonstrierte erstmals in Europa den Charleston im Pariser Théâtre des Champs-Élysées.
Gut, der flotte Charleston ist (wie in der Belle Epoque der wilde Cancan) so etwas wie ein beschleunigtes Gegenmodell von Entschleunigung. Aber damals war alles doch wesentlich gemütlicher. Es sind genau diese „Roaring Twenties“, nach denen sich Gil Pender im Paris der Jahrtausendwende sehnt, wohin er seine Verrlobte Inez und deren Eltern auf eienr Geschäftsreise begleitet hat. Er arbeitet, nach großen Erfolgen mit seinen Drehbüchern für Hollywood, an seinem ersten Roman.
Während Gil, zunehmend frustrtiert von der Oberflächlichkeit seiner Verlobten und seiner Schwiegereltern, ziellos durch das nächtliche Paris schlendert (!), hält Schlag Mitternacht ein altertümliches Bugatti-Taxi vor ihm. Die deutlich bedudelten Insassen animieren ihn, einzusteigen und sie zu begleiten. Es stellt sich bald heraus, dass es sich um Scott Fitzgerald und dessen Frau Zelda handelt und dass auch die nächsten Personen, denen der ungläubig staunende Gil nun begegnet (Cole Porter, die Mistinguette, Ernest Hemingway, Pablo Picasso, Salvador Dali, Luis Bunuel) in einem Paris der Zwanzigerjahre existieren – genau in der Epoche, nach der Gil sich sehnt.
Hemingway weigert sich zwar, Gils Manuskript zu lesen, gibt ihm aber ein paar Schreib-Tipps und empfiehlt ihn an die berühmte Lektorin Gertrude Stein. Vor allem aber verliebt Gil sich in Picassos (und Modiglianis und Braques) Geliebte Adrienne und die wiederum verliebt sich in den Anfang seines Romans – und wie sich später herausstellt, auch in Gil selbst: Das steht in ihrem Buch, das sie offenbar „damals“ geschrieben und veröffentlicht hat und das Gil auf einem Flohmarkt in seiner eigentlichen Gegenwart von (2011) entdeckt.
Mit Adrienne gibt es nur ein Problem: Sie hat auch eine Sehnsuchtszeit, ein „Goldenes Zeitalter“, in das Gil und Adrienne promt bei einem nächtlichen Spaziergang mittels einer Postkutsche (Entschleunigung!) landen: Die Belle Epoche der Jahrhundertwende mit dem „Moulin Rouge“ und dem „Maxim“ – wo die beiden Tolouse-Lautrec, Edgar Degas und Paul Gaugin begegnen. Während Adrienne ihm in jene Zeit entgleitet, begreift Gil, dass er seine „Sehnsucht nach der guten alten Zeit“ der 20er Jahre aufgeben und in der Gegenwart leben und schreiben muss – nicht zuletzt, weil es nur heute Antibiotika bei Krankheiten, Novocain bei Zahnbehandlungen und Valium zur Beruhigung seiner Nervosität gibt. Dabei hilft ihm erneut eine Zufalls(wieder-)begegnung: mit der sehr im Hier-und-jetzt lebenden Gabrielle, bei der er tags zuvor eine Schallplatte mit dem Lied „Let´s fall in love“ von Cole Porter gekauft hat.
Zur Entschleunigung trägt auch der Regen bei, der gleich zu Beginn einsetzt und den Gil liebt – genau wie Gabrielle. Ines hingegen verabscheut den Regen. Als Gil ihr vorschwärmt: „Stell dir die Stadt in den 20ern vor, im Regen. Das linke Seine-Ufer entschlangschlendern -“ wehrt sie nur entsetzt ab.
Schlendern – das ist nichts anders als entschleunigen.
Noch um einiges bizarrer – und nun wirklich mit jeder Menge Drogen – geht die Post ab in Fear and Loathin in Las Vegas. Wieder ist ein Journalist unterwegs. Der ehrgeizige – aber leider auch gerne bekiffte und bekokste Raoul Duke (brillant von der Rolle in seiner Paraderolle: Johnny Depp) soll und will über ein wildes Autorennen in der Wüste um Las Vegas berichten. An dessen „Helden“ ist mindestens so schwer heranzukommen wie an die „Stillwater“-Band in Almost famous. Der ebenfalls recht durchgeknallte Anwalt Dr. Gonzo, der Duke begleitet, macht alles noch weit schlimmer, obwohl er eigentlich helfen soll. Wer keine Drogen und deren Wirkungen mag, sollte die Finger resp. die Augen und Ohren von diesem Filmspaß lassen. Wer sich dennoch traut, erfährt sehr authentisch, was passieren kann, wenn man LSD nimmt (ohne sich selbst der Wirkung aussetzen zu müssen).
Opern brauchen nicht nur Musik – genauso wichtig ist ein gutes Libretto, das die Geschichte erzählt – gewissermaßen das Opern-Drehbuch. Dieser Film ist eine großartige Umsetzung der Ariadne auf Naxos von Komponist Richard Strauss dessen Libretto-Autor kein geringerer als Hugo von Hoffmannsthal war. Ich erwähne den Film hier als Beispiel eines Autoren-Schicksals, weil Hoffmannsthal den antiken Stoff der um Theseus trauernden Ariadne einbaut in eine Theateraufführung in der Theateraufführung: Im Wien des Fin de Siecle gönnt sich ein reicher Mäzen eine Aufführung einer Oper (eben besagter „Ariadne auf Naxos“) im eigenen Haus, was zu allerlei Verwicklungen führt.
Das passt bestens zur Labyrinth-Geschichte, von der Ariadnes tragisches Schicksal ja ein wesentlicher Teil ist.
Diese filmische Umsetzung einer Aufführung des Züricher Opernhauses (Dirigent: Christoph von Dohnanyi) handelt eigentlich von zwei Schreibern:
° indirekt von dem Verfasser des Librettos (Hoffmannsthal)
° und direkt vom Komponisten (Richard Strauss – aufgeteilt in die Figuren des „Musiklehrers“ und des „Komponisten“)
(Von einem anderen „Noten-Schreiber“ wird im vierten Teil dieser Serie noch zu handeln sein: dem polnischen Komponisten Penderecki und seiner Begeisterung – was für ein Zufall! – für die Paths through the Labyrinth).
Im nächsten, dritten Teil mehr über das Schicksal speziell von Drehbuch-Autoren und über Schreibblockaden (die für Drehbuchautoren ein spezielles Problem zu sein scheinen).
Details zu den oben erwähnten Filmen finden Sie hier in der komprimierten Filmographie. Eine umfangreiche Tabelle, in der alle diese Filme aus allen vier Teilen detailliert erfasst sind, biete ich zusammen mit dem vierten Teil im Anhang als eigene pdf-Datei.
Filmographie
(alphabetisch nach Filmtiteln)
Crowe, Cameron (Regie): Almost famous. USA 2000 (Columbia)
Dohnáni, Christoph von (Dirigat), Guth, Claus (Regie), Dietrich, Ronnie (Dramaturgie): Ariadne auf Naxos.
(Aufführung im Opernhaus Zürich Dezember 2006 (Blu-ray). Arthaus Musik GmbH).
Verhoeven, Paul (Regie) Basic Instinct. USA 1991 (Coralco).
Brooks, James L. (Regie): Besser geht´s nicht. USA 1997.
Westmoreland, Wash (Regie): Colette. USA 2013.
Hodges, Mike (Regie): Croupier – Das tödliche Spiel mit dem Glück. Great Britain 1998.
Reed, Carol (Regie): Der Dritte Mann. Great Britain 1949.
Polanski, Roman (Regie): Der Ghostwriter (The Ghost Writer). Frankreich Deutschland Großbritannien 2010.
Brocca, Philip de (Regie): Der Teufelskerl (Le Magnefique). Frankreich 1973 (Oceania Prod.)
Runge, Björn (Regie): Die Frau des Nobelpreisträgers (The Wife). Schweden USA 2017 (Fox).
Gilliam, Terry (Regie): Fear and Loathing in Las Vegas. USA 1999.
Sant, Gus van (Regie): Forrester gefunden (Finding Forrester). USA 2000 (Columbia).
Edwards, Blake (Regie): Frühstück bei Tiffany. USA 1961 (Paramount).
Grandage, Michael (Regie): Genius – Die tausend Seiten einer Freundschaft (Genius). USA 2016.
Allen, Woody (Regie): Midnight in Paris. USA 2010.
Reiner, Rob (Regie): Misery. USA 1990 (Castle Rock).
Kubrick, Stanley (Regie): Shining. USA 1980 (Warner Bros.)
Schrader, Maria (Regie): Vor der Morgenröte – Stefan Zweig in Amerika. Deutschland Frankreich Österreich 2016.
Aktualisiert: 05. Mai 2020 / 19:41 / (05. Feb 2020)