Nitsche, Goetz: Bonusland

Neuss 2019 (Con Book). 348 Seiten – 14,95 Euro

Schon der Untertitel macht neugierig: „Ein Mann, ein Rad, eine Sehnsucht“.
3.500 Kilometer fährt der Autor auf dem Fahrrad durch Neuseeland – und gelangt in der Ferne „zurück zu sich selbst“, wie er mit vielen Details ausführt. Nein, „ausführen“ trifft es nicht – er erzählt, was er erlebt und wie es ihn verändert hat – und wie er das erzählt!
Gerade mit dem Studium der Ingenieurswissenschaften fertig, hatte ihn die Aussicht auf ein zunehmend öder werdendes Dasein als Angestellter in einem Unternehmen erschreckt. Nun rebelliert er – das nicht! Er flüchtet geradezu. Nicht in eines der nahen europäischen Nachbarländer – sondern so weit weg wie nur möglich: Ans andere Ende der Welt, nach Neuseeland.
Was er dort erlebt, in einem unglaublichen Land mit den abenteuerlichsten Schauplätzen und Ausblicken samt Regenwäldern und aktiven Vulkanen – das kennt vielleicht so mancher Leser aus den drei Filmen Der Herr der Ringe nach Tolkiens Roman-Trilogie und dito Der Hobbit, die nicht zuletzt dadurch so beeindrucken, weil ihr Regisseur Peter Jackson, selbst Neuseeländer, diese Schauplätze verwendet hat, um eine ganz eigene Welt Mittelerde zu erschaffen.
Götz Nitsche radelt munter durch diese „Kulissen“ – und gerät dann ebenfalls in Abenteuer, die sich mit denen der Hobbits und des alten Zauberers Gandalf durchaus vergleichen lassen – bis an den Rand der Erschöpfung und seiner winzigen menschlichen Existenz in diesen gigantischen Kulissen, die bald gar nicht nur „Kino“ sind, sondern verdammt hautnah.

Das Ganze wird nicht nur mit Worten dem Leser nahegebracht, sondern auch mit einer Strecke von Farbfotos, welche diese abenteuerliche Reise ein weiteres Mal dokumentieren. Lassen wir den Autor selbst zu Wort kommen (zitiert von S. 70/71):

„Du scheinst ja alles dabeizuhaben, was du benötigst. Wirst du länger so reisen?«
»Yes, Sir«, sage ich, und plötzlich bricht der Stolz aus mir heraus. »Hundert Kilometer waren das heute, um genau zu sein. Und heute ist erst mein allererster Tag. Morgen geht es quer über die Halbinsel, dann zu den Stränden auf der anderen Seite. Aber ich habe zehn Wochen Zeit. Ich werde das gesamte Land bereisen.«
»Ist schön hier«, nickt der Mann. »Aber hügelig.«
Ha! Immerhin verweist dieser unaufgeforderte Ratgeber zuerst auf die Schönheit und dann auf die Hügeligkeit.
»Die Halbinsel?«, hake ich nach.
»Neuseeland«, sagt er und fügt hinzu: »Aber die Halbinsel auch.«
Ich weiß wirklich nicht, was alle haben. Das heute war doch wirklich ein Kinderspiel. Die Waikato-Gegend war flach wie eine Flunder, und selbst als ich zuletzt dem Flusslauf das Tal hinauf gefolgt war, hielt sich der Anstieg in Grenzen. Neuseeländer scheinen ein etwas anderes Verständnis von Bergen zu haben als wir Mitteleuropäer, schließe ich gutmütig. Wie sollen sie auch den Unterschied kennen? Sie haben ja keinen Vergleich, so weit weg von allem am Ende der Welt.
(…)
»Viel Spaß in den Hügeln«, sagt er noch und wünscht mir einen schönen Abend.
Welche Hügel, denke ich bei mir? Wieso reden alle die ganze Zeit von Hügeln?
Am nächsten Tag dämmert es mir allmählich: Vor mir liegt ein Hügel. Das Fahrrad neigt sich nach hinten, die Schwerkraft wirkt entgegen meiner Fahrtrichtung, der Horizont hebt sich zur Sonne.

Und dann geht es los. Hügel um Hügel. Bis Nitzsche fast zusammenbricht, von Regenküssen gepeitscht, von Kälte gepeinigt… Ein Lesespaß, ist man versucht zu notieren – als Leser im warmen Sessel der gemütlichen Wohnung, nach einer warmen Mahlzeit. Aber Nitsche zieht einen so richtig rein in die tatsächlichen Gegebenheit – und die sind häufig gar nicht gemütlich.
Nun, er hat es überlebt. Sein Leben hat sich dadurch jedoch sehr verändert. Und jetzt präsentiert er uns dieses Buch. von dem ich nur sagen kann: Respekt vor dieser Leistung, sowohl was die strapaziöse Radtour mit ihren vielen Highlights angeht als auch seine Kunst, das Erlebte dem Leser so nahezubringen, dass er mittendrin mitzuradeln meint. Hügel um Hügel…

# / Publiziert: 11. Aug 2019