Selfpublishing – nur eine neue Mode?

Eine der populärste Ausstellung, die in der British Library in London je zu sehen sein wird, ist die zu Joanne Kathleen Rowlings Buchserie um „Harry Potter“ anlässlich des zehnten Jahrestag des Erscheinens des ersten Bandes. Was man diesbezüglich nie vergessen sollte: Joanne K. Rowling brauchte neun Anläufe, bis sich endlich ein Verlag ihres Zauberlehrlings annahm. Und das war auch noch einem Zufall-Glücksfall zu verdanken, wie einem Artikel von Alexander Menden im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung zu entnehmen ist:
„Wegen der Spannung in diesem Buch habe ich mich innen ganz warm angefühlt. Ich glaube, das ist vielleicht eins der besten Bücher, die jemand lesen könnte, der 8 oder 9 Jahre alt ist.“
Die Rezension stammt von Alice, der damals achtjährigen Tochter des Bloomsbury-Verlagschefs Nigel Newton. Acht Verlage hatten das Manuskript von Joanne Kathleen Rowlings „Harry Potter und der Stein der Weisen“ bereits abgelehnt, als es auf Newtons Schreibtisch landete. Am Tag nach Alice Newtons Urteil nahm ihr Vater Rowlings Buch an und setzte damit das gigantischste literarische Phänomen unserer Zeit in Gang.
Doch wer hat schon das Glück, die achtjährige Tochter eines bekannten Verlegers als erste Rezensentin zu haben! Viele Autoren machen die leidvolle Erfahrung vieler Absagen, bis sie irgendwann bei einer dieser drei Möglichkeiten landen:
1. Sie geben frustriert ihre Bemühungen auf und versenken das ungedruckte und offensichtlich auch ungeliebte Manuskript im hintersten Winkel ihres Schreibtisches.
2. Sie veröffentlichen ihr Werk als Book on Demand in einem obskuren Pseudo-Verlag (der oft nur an eine nicht ausgelastete Druckerei angeschlossen ist) und wundern sich, dass sich niemand für das Buch interessiert, an das sie doch so viel Arbeit hineingesteckt haben! Die einfachere Variante ist Selfpublishing (Neudeutsch für „Veröffentlichen im Selbstverlag“) oder Hybrid Publishing (s. unten).
Die Ursache für letzteres ist in vielen Fällen leider, dass das Werk zu schlampig und zu unprofessionell, ja geradezu lieblos publiziert wird, mit vielen Druckfehler, logischen Fehler, völliger Missachtung möglicher Leserinteressen und manchen typischen Anfängerfehlern mehr. Der Autor oder die Autorin hat sich einfach zu wenig Mühe gegeben. Dabei wäre das so einfach anders zu machen – was uns zur dritten Variante bringt:

3. Das Manuskript, das scheinbar nichts taugt, nach einmal hernehmen und intensiv überarbeiten. Ich empfehle diesbezüglich Folgendes:
3.1 Nochmals Korrigieren, Korrigieren, Korrigieren und all die unnötigen Tippfehler ausbügeln, die jedem (!) Autor bei der Erstfassung unterlaufen. Viele wissen offenbar nicht, dass das Schreibprogramm WORD eine Korrekturfunktion hat, die recht ordentlich arbeitet – man muss sie nur benützen! Vor allem aber darf man ihr nicht völlig vertrauen, denn sie übersieht manches und kennt auch vieles nicht. Also eventuell noch ein anderes Korrekturprogramm über den Text laufen lassen – z.B. GNU Aspell – und auch mal den Artikel über „Rechtschreibprüfung“ in der Wikipedia studieren, der gute Hinweise gibt.
(Eine weitere Variante ist beim Verfassen der ersten Version eines Manuskripts die Verwendung einer Diktiersoftware wie DRAGON naturally speaking, die recht gut arbeitet, aber auch nochmals korrigiert werden muss – und das nicht nur einmal.)
Doch mit dem Korrigieren der offensichtlichen Fehler ist es noch nicht getan. Man muss ein Buch auch gründlich überarbeiten – das nennt man: Redigieren. Diesbezüglich die nächste Empfehlung:
3.2 Gönnen sie sich einen Lektor oder eine Lektorin (heute sind die eh meistens weiblich). So eine Fachkraft, wie sie leider in vielen Verlagen auf dem Aussterbeetat stehen, ist gewissermaßen der erste „Leser“, der Ihr Werk mit ganz anderen, im besten Fall objektiveren Augen liest als Sie in Ihrer Autorenbefangenheit das auch (und gerade) beim siebten Durchgang durch Ihr Manuskript nicht (mehr) können.
Wo findet man so jemanden und was kostet das? Preiswert sind Studenten eines Buchwissenschaftlichen Instituts (wo u.a. Verlagslektoren ausgebildet werden – z.B. das Buchwissenschaftliche Institut der LMU München) – Honorar Verhandlungssache (mit 10-15 €uro pro Stunde sollte man rechnen – sich aber im Klaren sein, dass beruflich noch wenig erfahrene Studenten vieles übersehen, was der Profi rasch erkennt. Wer bessere Überprüfung will, muss mehr bezahlen – das geht dann eher nach Arbeitsstunden als nach Manuskriptseiten. Man wird diesbezüglich, auch was die Honorarhöhe angeht – fündig auf der Website des Verbands Freiberuflicher Lektorinnen und Lektoren VFLL – http://www.vfll.de .
3.3 Gründen Sie mit anderen Autoren einen Lese-Zirkel, wo man gegenseitig Manuskripte liest. Wo findet man solche Leute? Ganz einfach: In Schreibseminaren wie meiner Roman-Werkstatt (s. unten).
3.4 Details zum Verbessern des Textes und der Lesbarkeit:
° Denken Sie stets an einen „idealen Leser“ (Zielgruppe, Publikum) – schreiben Sie für den – und nicht nur für sich selbst.
° Gliedern Sie den Textfluss besser (zum Beispiel mit etwa drei bis fünf nicht zu langen Absätzen = GedankenModule pro MS-Seite).
° Machen Sie Ihre Kapitel nicht zu lang! Drei bis fünf Seiten ist ideal – das kann man während einer U-Bahn-Fahrt bewältigen oder vor dem Einschlafen.
° Geben Sie den Kapiteln als Überschriften nicht nur Nummern, sondern aussagekräftige („sprechende“) Überschriften (eventuell auch den Unter-Kapiteln, falls die Kapitel sehr lang sein sollten).
° Lockern Sie den Textfluss durch Dialoge auf (die sich auch bestens zur Informationsvermittlung eignen).
° Machen Sie sich Gedanken, wie man Spannung erzeugt (da gibt es gute Ratgeber wie die von James N. Frey – s. unten Quellen)
° Sorgen Sie für ein gutes Verhältnis zwischen „erzählenden“ und „informierenden“ Passagen – das Erzählen sollte immer Vorrang haben!
° Und last, but not least: Fertigen Sie für sich selbst, aber auch für einen etwaigen Agenten und für den Lektor eines Verlags sowieso die folgenden Zusammenfassungen an:
°° Ein detailliertes Inhaltsverzeichnis,
°° einen Klappentext (oder Rückseitentext) und vor allem
°° ein Exposee (das nicht länger als ein bis drei Seiten sein sollte).
Generell: Schicken Sie niemals Ihr Manuskript unverlangt an einen Verlag!
Verlage hassen es, mit Texten unbekannter Autoren überschwemmt zu werden – so etwas landet meistens unbesehen im Papier-Container. Rufen Sie stattdessen im Verlag an und lassen sich mit dem für (Roman, Sachbuch, Autobiographisches) zuständigen Lektor verbinden und fragen Sie, was der haben will. Meistens erst einmal ein Exposee und ein Probekapitel.

Selfpublishing – Hybrid Publishing

Und nun nochmals zu Variante 2 – dem Selbstverlag (Selfpublishing heißt das Neudeutsch). Wenn Sie die Form des Book on Demand (BoD) wählen, haben Sie immerhin einen richtigen Verlag zwischen sich als Autor und die Buchhändler platziert; dort können sie auch ein sachkundiges (allerdings kostenpflichtiges) Lektorat erhalten. Zwei Beispiele, die ich empfehlen kann: der BoD-Verlag und Allitera (wo ich selbst schon vier vergriffene Bücher neu publiziert habe). Aber Vorsicht, wenn Sie BoD googeln – unter dieser Flagge tummeln sich auch viele dubiose Angebote. Die Website des Großsortimenters Libri, der die Buchhandlungen mit allen Büchern beliefert und als seriös gelten darf, lautet: https://www.bod.de/
Für richtiges Selfpublishing empfehle ich gleich das digitale Großunternehmen Amazon. Seit Mai 2009 betreibt es mit Amazon Publishing einen eigenen Verlag. Der veranstaltet inzwischen Wettbewerbe wie den „Kindle Storyteller Award“ (der auf der diesjährigen Buchmesse verliehen wurde). Aber machen Sie sich keine großen Hoffnungen – Sie werden mit Ihrem Werk im Meer der Publikationen wahrscheinlich untergehen.
Aber immerhin: Sie haben es probiert. Und: Jemand hat einmal gesagt:
„Es gibt für jedes (!) Buch (mindestens) tausend Leser, die genau darauf warten – man muss sie nur finden.“
Letzteres ist mit den heutigen Möglichkeiten des Internets nicht mehr unmöglich; dazu braucht man nur eine eigene Website für das Buch einrichten und sie mit Google-gerechten Schlagwörtern versehen – zum Beispiel:
° In welcher Zeit spielt der Roman? (Es gibt jede Menge Mittelalter-Fans oder solche für die Roaring Twenties – falls Ihr Buch in jener Epoche Zeit spielt).
° Wo ereignet sich der Roman? (Denken Sie an die aktuelle Beliebtheit vieler Lokal-Krimis.)
° Welchen Beruf hat Ihre Hauptfigur? Jede fremde Arbeitswelt ist interessant und macht neugierig – Sie müssen dies jedoch in Ihre Geschichte hineinschreiben – z.B. dass der Held von Beruf Steuerberater für die Reichen ist und in
seiner Freizeit Paperweights aus Glas bastelt.
° Welchem Genre gehört Ihre Geschichte an? (Krimi, Science-Fiction, Reitgeschichte für Mädchen, Piratenabenteuer in der Karibik).
Es gibt noch einige Details mehr (Motive wie „Rache“ und dergleichen). Verschlagworten Sie all dies – und Sie bzw. Ihr Buch werden gefunden! Das gilt nicht nur für Romane und Sachbücher, sondern auch und gerade für autobiographische Werke, die zum Beispiel von volkskundlichen oder zeitgeschichtlichen Archiven oder von Doktoranden als Quelle für ihre Dissertation gesucht werden.
Und vielleicht haben Sie bei Ihrem Erstling so viel gelernt, dass das zweite Buch besser wird – und vor allem erfolgreicher!
Dem Kindle-Proletariat bei Amazon zum Trost
Was Sie nicht verdient haben, sind die geringschätzigen Sottisen mancher Rezensenten, für die alles, was nicht in den renommierten Großverlagen erscheint (die eben auch die großen Anzeigen für ihre Bücher schalten) nichts taugt, schon gar nicht dieses schnöde „Selfpublishing“. In der Welt am Sonntag gab es diesbezüglich einen süffisanten, nein geradezu bösartiger Kommentar zur Frankfurter Buchmesse von einem Marc Reichwein. Er beginnt so:
„Lesen Sie noch, oder schreiben Sie schon? Sie liebe Leserin, lieber Leser, könnten doch längst ihr eigenes Buch veröffentlichen. Selfpublishing heißt das heute – und reicht als Phänomen längst über das Kindl-Proletariat bei Amazon hinaus. (…) Der große Trend heißt: Sein eigenes Buch schreiben.“
Und dann wird alles niedergemacht, was nicht die höheren Weihen eines der etablierten Verlage oder Rezensenten hat. Dabei hat sich in den USA inzwischen längst ein interessante Mischung aus zunächst Selfpublishing mit anschließender Verlagsverwertung etabliert – Hybrid Publishing genannt. Einer der bislang größten Erfolge auf diesem Gebiet war 50 Shades of Grey von E. L. James, die ihr Werk zuerst im Internet veröffentlicht hat.
Dass Ihr eigenes Buch nicht auf Anhieb ein Erfolg wird, hat also noch nichts zu bedeuten. Das eingangs erwähnte Beispiel der späteren Weltbestsellerautorin Joanne K. Rowling sollte Sie ermutigen, die Schuld nicht nur bei sich selbst zu suchen. Es kann bei alle guten professionellen Vorbereitung (s. oben) einfach am „Zeitgeist“ liegen, am „falschen Zeitfenster“, das Ihr Werk noch nicht gewürdigt und gelesen wird.
Auf meiner persönlichen Website http://www.hyperwriting.de finden Sie eine lange Liste von „Rotten Rejections“ (Ablehnungen von Büchern durch Verlage und Kritiker), die sich insgesamt wie ein Kompendium der Weltliteratur lesen! Da fehlen weder Hemingway noch James Joyce und Remarques Im Westen nichts Neues so wenig wie Daniel Defoe Robinson Crusoe. Details hier:
HALLE DES SPÄTEN RUHMS (Rotten Rejections) – http://www.hyperwriting.de/loader.php?pid=272
Quellen:
Frey, James N..: Wie man einen verdammt guten Roman schreibt (How to write a damn good novel). (USA 1987) Köln 1993 (Emons).
ders..: Wie man einen verdammt guten Kriminalroman schreibt. (How to write a damn good mystery). (USA 2004) Köln 2005 (Emons).
Menden, Alexander: „Avada kedavra“. In: Südd. Zeitung Nr. 242 vom 20. Okt 2017, S. 14 (Feuilleton).
Reichwein, Marc: „Frankfurter Buchmesse: Hurra, wir lesen noch!“. In Welt am Sonntag Nr. 41 vom 08. Okt 2017, S. 12.