Personenbeschreibung

Jede Erzählung enthält eine Reihe von Elemente, die nicht fehlen dürfen. Da sind etwa der Schauplatz, das Zeitkolorit, die Atmosphäre, der Dialog. Das wichtigste dieser Ingredienzien ist natürlich die Hauptfigur. Schon wegen des Konflikts und der daraus resultierenden Spannung samt Spannungsbogen sollte es noch einen Widersacher geben und allerlei Nebenfiguren – je nach Länge der Erzählung mehr oder weniger davon.
Entsprechend wichtig ist für jeden Autor die Kunst der Personenbeschreibung. Diese stellen wir in unseren Seminaren zum Kreativen Schreiben ausgiebig vor und üben sie auf mannigfache Weise.

Es empfiehlt sich, die Beschreibung einer Person wie eine <Zwiebel aufzubauen, wobei man meinetwegen
° mit der Kleidung und groben Äußerlichkeiten (eine große Nase wie Cyrano der Bergerac, langes blondes Haar etc.) beginnt,
° dann in die körperlichen Details geht („Eine auffallend tiefe Stimme, die im Kontrast zu ihrem zarten Körperbau stand -„)
° bis man immer feiner innere (psychologische) Aspekte vorstellt.
Man kann aber auch genau umgekehrt vorgehen und beim Psychologischen anfangen, das man nach und nach durch Körperliches ergänzt.
Geschickterweise bringt man die einzelnen Elemente einer Personenbeschreibung nicht allesamt in einer kompakten Passage unter, sondern verstreut sie geschickt über die Handlung, wo es halt passt. Der Leser setzt sich die Figur schon nach und nach in seinem „Kopf“ zusammen, so wie er / sie ja überhaupt die gnaze Geschichte, zum Beispiel eines Romans, neu nacherfinden muss.
Am überzeugendsten ist natürlich alles, was sich in Handlungen äußert: Wie äußert sich die Güte eines Menschen? Doch nicht, indem man hinschreibt: „YX war ein guter Mensch -“ – sondern indem man zeigt, wie sie und dass sie gut im moralischen und ethischen Sinne handelt. Wie man ja überhaupt nicht so vielp“ über die Figuren“ reden sollte, sondern durch ihr Handeln – oder Nichthandeln – vorführt, was das für ein Mensch ist.
Wie immer gibt es von solchen Ratschlägen und Rezepten auch Ausnahmen, mit denen man getrost spielen kann. Norman Mailer entwickelt seinen großen Kriegsroman „Die Nackten und die Toten“ anhand eines gutes Dutzends wichtiger Figuren, die jeweils einen der großen Blöcke der Erzählung dominieren. Jede dieser Hauptfiguren stellt Mailer zu Beginn des Teils in einer konzentrierten Kurzbiographie vor. Ein sehr überzeugendes Verfahren.
Joanne K. Rowling hingegen portraitiert ihre Figuren, von Harry Potter angefangen (die Blitznarbe, die Brille, elf Jahre alt) in kurzen konzentrierten Passagen, wie ein Maler mit wenigen Pinselstrichen, und ergänzt dann im Verlauf der immer kompelexer werdenden Handlung wichtige zusätzliche Details. Dadurch kippt immer wieder einmal die Wahrnehmungsperspektive um (Harry zeigt, obwohl er der Gute ist, durchaus auch dunkle Züge, etwa seine Beherrschung der Schlangensprache).
Drei hilfreiche Übungen:
° Sich selbst im Spiegel beschreiben.
° Jemand anderen schreibend portraitieren, meinet wegen nach einem Foto oder einem Gemälde – oder auch jemanden, den man unbemerkt im Café beobachtet.
° Aus der Erinnerung jemanden charakterisieren, mit dem man a) besonders gute b) besonders schlechte Erfahrungen gemacht hat.
(Das Folgende ist ein leicht veränderter Auszug aus dem Buch Kurzgeschichten schreiben von Jürgen vom Scheidt.)

Inhalt:

  • Im Mittelpunkt: der Mensch
  • Personen-Beschreibung: eine Checkliste
  • Demnächst:
    ° Anekdoten als spezielle Variante der Personenbeschreibung
    ° Der „alte Kropf“ und die Eisenbahn
    ° Kleiner Exkurs über die Namen von Figuren
    ° Das Pseudonym ist nicht nur ein Versteck
    ° Sonderfall „Harry Potter“
    ° Zum Abschluss ein kleines Schreib-Experiment

    Im Mittelpunkt: der Mensch

    Johann Peter Hebel sagt uns in seinem „Kannitverstan“ nicht viel über die beiden Figuren dieser musterhaften Kalendergeschichte. Der eine ist ein etwas töricht agierender Handwerksbursche. Der andere (wie es zunächst scheint), ein mit allen Gütern der Erde gesegneter reicher Mann, von dem wir nur den Namen erfahren (Herr Kannitverstan) und wie er lebt; bis sich am Ende alles, was ihn betrifft, als Mißverständnis erweist – wenn auch nur für den Leser.
    Der weltbekannte britische Dramaturg und Theater-Theoretiker Peter Brook (»Der leere Raum«) machte 1993 in einem Interview folgende Aussage, die auch in Hinblick auf die Personenbeschreibung als Element der Kurzgeschichte interessant ist:


    Meine Erfahrungen [mit dem Theater] haben mich gelehrt, daß das stärkste, das reichste Instrument der Mensch ist. Er ist das wahre Instrument. Was drum herum ist […], ist nebensächlich. Wenn man im Theater alles benutzt, die ganze Technik, wenn man alles sieht, dann ist man an der Grenze zur Banalität, sehr schnell übrigens. Die Konzentration auf das Individuum ist nicht eine Frage des Stils, sondern das Ergebnis von Erfahrung: Entscheidend ist nur das Individuum auf der Bühne… Musik, Kostüme, Dekor, Licht gehört an seinen Platz, meinetwegen auch an einen sehr auffallenden – aber trotzdem sind diese Dinge alle sekundär, verglichen mit dem Menschen.

    Was Brook hier für die Schauspieler als die Repräsenten der Gestalten eines Theaterstücks feststellt, das möchte wir auch für die Kurzgeschichte behaupten: Schauplätze, Zeitkolorit, Titel und all die anderen Elemente einer Story sind wichtig und bedürfen der besonderen Aufmerksamkeit des Autors. Aber worauf es ankommt, das sind die Personen und ihr Schicksal. Die Schauspieler und die von ihnen dargestellten Figuren eines Stücks füllen den (zunächst) leeren Raum der Bühne, und deshalb kommt ihnen die wichtigste Aufgabe zu. Heribert Hove schrieb einmal im Rahmen der Kritik eines utopischen Romans im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung: »So grob sind die Personen zurechtgeschnitzt, dass sich kaum jemand wiedererkennt und das Menetekel dergestalt ohne Wirkung bleiben wird.« Aber wie soll man das machen – eine Person gewissermaßen „fein zurechtschnitzen“?
    Im folgenden Teil sind einige Möglichkeiten zusammengestellt, die für eine Personenbeschreibung relevant sein können. Je nach Länge der Erzählung werden nur einige oder viele der folgenden Details von Bedeutung sein. Von jedem Detail her kann man eine Story anfangen, beziehungsweise die Handlung darum aufbauen. Auch bei erfundenen Personen (Kunstfiguren) empfiehlt es sich, ein Vorbild vor Augen zu haben; die eigene Person oder Teilaspekte davon spielen wohl immer mit herein. Man muß dies keinesfalls alles in eine einzige Story hineinpacken; das wäre allenfalls in einem Roman sinnvoll. Aber es ist kein Schaden, wenn man sich dieser vielen möglichen Details bewußt ist.

    Personen-Beschreibung: eine Checkliste

    Insgesamt lassen sich über dreißig Aspekte der Beschreibung einer Person unterscheiden. Hier seien nur die wichtigsten vorgestellt. Auch wenn solche Details in der Erzählung selbst direkt keine Rolle spielen, so helfen sie einem doch, sich beim Schreiben ein klareres Bild von dieser Figur zu machen; sie wird dadurch glaubwürdiger, autenthischer.
    Vor allem sollte man stets sinnlich schreiben (wie riecht jemand, wie spricht er? welche Farben bevorzugt die Figur? welche mag sie nicht? ist sie mehr kälte- oder hitzeemplindlich? Schmerzen: Wie reagiert dieser Mensch beim Zahnarzt?).

    • Handelt es sich um eine real existierende Person – oder um eine Kunstfigur? Für die fertige Geschichte macht das keinen großen Unterschied, aber für den Vorgang des Schreibens sehr wohl, weil eine Kunstfigur Anteilen der eigenen Person näher stehen wird.
    • Was ist das hervorstechendste Merkmal? Wie sieht das Gesicht aus? Wie der Körper? Gangart, Mimik, Gestik (Marotten dabei) Geschlecht, Hautfarbe, Alter (wann geboren? wo?)
    • Familiensituation (ledig? verheiratet? Kinder? getrennt? geschieden? Herkunftsfamilie: Eltern, Geschwister, Vorfahren …)
    • Beruf (Details! Beschreibung des Arbeitsplatzes …)

    • Wo lebt diese Person jetzt? (Großstadt, Kleinstadt …)
      Spezielle Eigenschaften (Vorlieben, Abneigungen, Ängste, Stärken, Schwächen, Hoffnungen, Sehnsüchte, Marotten, Zwänge)

    • Moralische, ethische Maximen? (werden sie gelebt – oder nur gepredigt?)

    • Schlüsselerlebnisse in der Biographie, Schicksalsschläge, unerledigte Geschäfte (Verdrängtes, Vergessenes), dunkle Punkte in der Vergangenheit? Gibt es ein Geheimnis im Leben dieser Person (welches diese auf keinen Fall enthüllt haben möchte)?

    • Und das wichtigste Element: Wie werden Konflikte bewältigt (oder vermieden)?


    Weitere Fortsetzungen dieses Themas in den kommenden NewsBlogs des IAK:
    ° Anekdoten als spezielle Variante der Personenbeschreibung
    ° Der „alte Kropf“ und die Eisenbahn
    ° Kleiner Exkurs über die Namen von Figuren
    ° Das Pseudonym ist nicht nur ein Versteck
    ° Sonderfall „Harry Potter“
    ° Zum Abschluss ein kleines Schreib-Experiment