ThemenZentrierte Interaktion (TZI)

Inhalt:
Was ist das Wesentliche an TZI?
Entstehungsgeschichte und Inhalte der Methode
Die hilfreichen Regeln der TZI
Bibliographie

Eine wesentliche Grundlage unserer Arbeit bildet TZI (ThemenZentrierte Interaktion) nach Ruth C. Cohn, mit der sich alle Arten von Gruppen leiten lassen, seien sie nun kognitiv ausgerichtet wie Schreib-Gruppen und Lern-Gruppen, oder seien sie mehr an Selbsterfahrung orientiert. Die Gemeinsamkeit ist stets: Es wird ein bestimmtes Thema angeboten (daher die Bezeichnung „themenzentriert“).

Biographisches zu Ruth Cohn (1912-2010) findet man in der Wikipedia, weitere Details zu TZI und zu den Ausbildungs-Angeboten unter Ruth Cohn Institut.

 

Was ist das Wesentliche an TZI?

Kernstück der Methode ist nach meiner Erfahrung eine nachhaltige Aktivierung der Kreativität und Phantasie, und zwar sowohl bei den einzelnen Teilnehmern wie bei der ganzen jeweiligen Gruppe.

Über TZI wurde schon viel geschrieben und gesagt – am aufschlussreichsten von seiner Erfinderin selbst: Ruth Cohn (1975). Ähnlich wie die Psychoanalyse* ist es eine Methode, bei der die eigene Erfahrung unabdinglich ist. Aber das wesentliche ist für mich, wiederum genau wie bei der Psychoanalyse, dass TZI völlig neue Erfahrungen im menschlichen Zusammenleben erschlossen, ja überhaupt erst möglich gemacht hat.
* – aus der die TZI weiterentwickelt wurde – Ruth C. Cohn war ursprünglich Psychoanalytikerin.

Insofern ist jede TZI-Sitzung ein Hinführen zu grundlegenden Erfahrungen in Kommunikation, humanem Umgang-miteinander und – ja, auch in gelebter Demokratie.

Für mich war es vom allerersten Moment an, und das hat mich am meisten überzeugt, eine geradezu verblüffende Demonstration Lebendigen Lernens. Erst viel später habe ich begriffen, dass es dadurch auch eine enorme Bereicherung der kreativen Fähigkeiten ist und Anregung der Phantasie.

Was sich die Seminarleiter, allen voran Ruth C. Cohn selbst, an Übungen, Hilfsmitteln und Anregungen ausgedacht haben, ist eine Schatzkiste, deren Besitz (durch eine entsprechende Zusatzausbildung) für Lehrer, Psychologen und Seminarleiter jeder Art ein absolutes Muss ist.

Ich erinnere mich noch genau an meine erste Sitzung in einem TZI-Kurs bei Elisabeth von Godin, Ende 1975. Sie begann damit, dass sie uns bat, die Augen für einen Moment zu schließen, um uns selbst zu spüren, bevor es mit dem Seminar losging. Danach erst nannte sie das Thema des Abends, über das wir uns austauschen würden.

Hätte man besser das vielzitierte Dreieck der TZI von
° Ich (des Teilnehmers)
° Wir (der gesamten Gruppe) und
° Es (das Thema der Sitzung)
demonstrieren können, als mit dieser Erfahrung Lebendigen Lernens?

Dieses Schließen der Augen ist seitdem für meine Arbeit und überhaupt die Arbeit in unserem Institut zu einer zentralen Übung geworden. Wie sonst könnte man, gerade zu Beginn eines Seminars, die sich zunächst ja meist fremden Teilnehmerinnen und Teilnehmer erst einmal zu sich selbst führen – und dann erst in den Gruppenprozess und den kognitiv-kreativen Prozess des Gesprächs miteinander?
Nebenbei bemerkt: Dieses „Schließen der Augen“ und „Eintauchen in einen meditativen Modus des Bewusstseins“ ist eine sehr praktische Demonstration von Entschleunigung – einem Kernstück unserer Arbeit in den Schreib-Seminaren.

(Trefflicher Zufall: Genau dieses Augenschließen zu Beginn einer Arbeitsitzung hatte ich schon gut zwei Jahrzehnte vorher bereits einmal kennengelernt [und dann wieder vergessen]: ein Deutschlehrer zeigte es uns vor Beginn einer Aufsatz-Prüfung, damit wir uns beruhigen und sammeln konnten. Wenn man nur dies für den Beginn aller Schulstunden zur Pflicht machen würden!!!
Und noch ein zweiter, weit seltsamerer Zufall: Wie ich lange später herausbekam, hatte meine erste TZI-Lehrerin Elisabeth von Godin in den Fünfzigerjahren zusammen mit meinem Psychoanalytiker Ullrich Otto die Ausbildung in Psychoanalyse gemacht. Seitdem hatten sie sich aus den Augen verloren. Die Welt ist ein Dorf, fürwahr.)

 

Entstehungsgeschichte und Inhalte der Methode

Die TZI wurde Ende der sechziger Jahre in den USA von Ruth C. Cohn begründet, einer vor dem Nazi-Terror in die USA geflüchteten deutschen Psychoanalytikerin. Sie leitete Workshops für Analytiker zum Thema Gegenübertragung – damals noch ein Tabuthema, das gerne vermieden wurde. Dabei entdeckte sie, wie fruchtbar es sich auf die Gruppe auswirkte, wenn sie als Leiterin sich mit ihren eigenen Erfahrungen in das Geschehen einbrachte und sich nicht auf „psychoanalytisches Schweigen“ mit anschließendem Deuten beschränkte.

Die Vorbild-Funktion des Leiters: nämlich selbst zu eigenen Erlebnissen und Emotionen zu stehen und – in Grenzen – darüber zu sprechen, ist ein wichtiges Element in der TZI. Es versteht sich von selbst, dass sich der Leiter nicht selbst in den Vordergrund spielt und die Gruppenteilnehmer mit seinen Erlebnissen und Emotionen überschüttet, sondern dass er sorgfältig auswählt, wann und wieviel er als Leiter selbst einbringt („selektive Authentizität“). Vielmehr ist er „Hüter des Themas“, achtet also darauf, dass in der dynamischen Balance der verschiedenen Elemente das Thema nicht verloren geht. Unter dynamischer Balance versteht Ruth C. Cohn, dass es in jeder Gruppe drei Grundelemente gibt, die gleichermaßsen wichtig sind:

° Das ICH: die eigenen Gefühle, Gedanken, Bedürfnisse;
° das WIR: also die Interaktion in der Gruppe;
° und das ES: die Aufgabe, um die es in der Gruppe geht, das Thema.

„Diese drei Bezugspunkte habe ich im TZI-Symbol zu einem gleichseitigen Dreieck angeordnet, um damit auszudrücken, dass die Arbeit von Menschen und ihre Beziehungen untereinander nur dann befriedigend und sinnvoll sein können, wenn diese drei Dinge gleichgewichtig behandelt werden.
Als vierter wichtiger Faktor kommt der Globus hinzu, die das Dreieck umhüllende Kugel: Damit will ich veranschaulichen, dass ein Gruppenprozess nur dann realitätsgerecht sein kann, wenn die Menschen in der Gruppe nicht ihre soziale, physikalische, kosmische Umgebung und deren Probleme aus den Augen verlieren“
(Cohn, 1979, S.24).

In den frühen siebziger Jahren kam Ruth C. Cohn in die Schweiz, um dort ihre ersten Workshops abzuhalten. Um die Methode weiterzugeben und weiterzuentwickeln wurde WILL gegründet (WILL = Werkstatt Institut für Lebendiges Lernen). Anfänglich waren es hauptsächlich Psychoanalytiker, die ihre Workshops besuchten, sich von ihr unterrichten ließen und zu Graduierten wurden, welche die Methode ihrerseits weitergaben.

Wichtig für Ruth C. Cohn war es immer, zu betonen, dass es sich bei TZI nicht um eine therapeutische Methode handelt, sondern vor allem um ein pädagogisches Modell, eine Haltung, die von den Gruppenleitern gelernt und entsprechend ihrer eigenen Persönlichkeit weitergegeben wird. Aus diesem Grunde kamen schon bald andere Berufsgruppen dazu: Theologen, Lehrer, Sozialpädagogen, klinische Psychologen, Erzieher, Hochschulprofessoren – die nach neuen Wegen in ihrer Arbeit mit nichttherapeutischen Gruppen suchten.

 

Die hilfreichen Regeln der TZI

TZI basiert auf einigen Hilfsregeln, die sich sehr bewährt haben:

° Sei Deine eigene Chairperson , d.h. Du selbst bist der Experte für Dich selbst. Entscheide, wann Du sprechen oder schweigen willst, wieviel Du über Dich selbst preisgeben willst (selektive Authentizität).

° Störungen haben Vorrang (wenn sich eine Person nicht am Thema beteiligen kann, weil sie etwas anderes zu stark beschäftigt, kann sie es mitteilen und sich damit wieder an dem Geschehen beteiligen.)

° Sprich per ich und nicht per man (teile etwas über Dich mit, wenn Du sprichst, damit die anderen Gruppenmitglieder sich bei ihren Antworten auf Dich beziehen können und verliere Dich nicht durch das „man“ in allgemeinen, unverbindlichen Floskeln).

° Frage andere Gruppenteilnehmer nicht aus (wenn Du Fragen hast, dann sag, weshalb sie Dir wichtig sind).


Bibliographie
Cohn, Ruth: Von der Psychoanalyse zur Themenzentrierten Interaktion. Stuttgart 1973 (Klett)
Cohn, Ruth C.: und Alfred Farau: Gelebte Geschichte der Psychotherapie. Zwei Perspektiven. Stuttgart 1984 (Klett Cotta)
Cohn, Ruth C.: „Themenzentrierte Interaktion: Ein Ansatz zum Sich-Selbst- und Gruppenleiten“. In: Lewin und die Folgen, Bd. VIII von Balmer, Heinrich et al (Hrsg.): Die Psychologie des 20. Jahrhunderts, Zürich 1979 (Kindler), S. 873-883)
Langmaack; Barbara. Einführung in die Themenzentrierte Interaktion (TZI): Das Leiten von Lern- und Arbeitsgruppen erklärt und praktisch angewandt [Taschenbuch]. Weinheim 2011 (Beltz). 274 Seiten – ISBN-10: 3407229216 / ISBN-13: 978-3407229212
Scheidt, Jürgen vom: „ThemenZentrierte Interaktion (TZI)“. In: Asanger, Roland und Gerd Wenninger: Handwörterbuch der Psychologie. München – Weinheim 1988 (Psychologie Verlags Union)

© 18. Juni 2016 / 2001 für diesen Text: Dr. Jürgen vom Scheidt / Quelle: http://www.hyperwriting.de und http://www.iak-talente.de