Lust und Frust beim Schreiben
Was ist das Wesentliche beim Schreiben? Der Kreative Prozess besteht dabei aus drei Phasen, die mit „Lust“ und „Frust“ zu tun haben:
° Lustzone 1: Spontanes Formulieren, quick and dirty – Freude am Schreiben, oft verbunden mit starkem Glücksgefühl (Dopamin-Ausschüttung).
° Lustzone 2: Erstes Überarbeiten der Rohfassung – die Freude und das Glücksgefühl werden erinnert, wenngleich schwächer.
° Frustzone: Erneutes Überarbeiten. Immer wieder werden Fehler entdeckt, muss umgestellt werden und ergänzt, gekürzt. In dieser Phase wird der Schreibprozess zunehmend frustrierend und wirklich harte Arbeit. Wenn es gelingt, die ursprünglichen Glücksgefühle und die Freude wieder zu beleben, helfen diese durch die Frust-Zone.
Für letzteres ist es wichtig, sich immer wieder klar zu machen, dass es da dieses „Neuronale Netzwerk“ im Gehirn gibt, das den ursprünglichen Kreativen Formulierungsprozess samt den damit verbundenen Glücksgefühlen und der Freude gespeichert hat. Dieses NeuroNetz kann wieder aktiviert werden (z.B. durch passende Musik).
Helfen kann auch Karl Valentin, als Schutzheiliger gewissermaßen. Denn sein vielzitiertes Diktum fasst die beiden Aspekte des kreativen Prozesse – die Lust und der Frust – wunderbar in einem kurzen Satz zusammen, der in seiner Paradoxie selbst schon wieder Dopamin auslöst: „Kunst ist schön – macht aber viel Arbeit“.
Kunst – das ist der lustvoll erlebte spontane (oder auch geschickt inszenierte) Schaffensprozess, samt Dopamin-Ausschüttung. Typisches Kennzeichen dieser Phase: Man merkt gar nicht mehr, dass man „arbeitet“. Und wundert sich hinterher über das, was man geschaffen hat.
Viel Arbeit – das ist der langwierige Folgeprozess des Korrigierens und Redigierens. Bis das fertige Produkt (das Buch im Schaufenster der Buchhandlung, die Empfehlung eines bekannten Rezensenten, das Honorar auf dem Konto) erneut Endorphine produziert und der Kreis gewissermaßen geschlossen wird.
Das „viel Arbeit“ ist erträglicher, wenn man sich immer wieder an die ursprüngliche Freude und Glückserfahrung erinnert. Zum Beispiel, indem man im „Begleitenden Logbuch“ schmökert – was schon deshalb sehr wichtig ist.
Das eine ohne das andere ist nicht zu haben – also „Kunst Lust“ ohne „viel Arbeit Frust“ – es sei denn, man dilettiert nur hobbymäßig vor sich hin. Dies kann allerdings auch „schön“ sein. Why not.
Genau diese Freude, ja Lust habe ich bereits als Achtjähriger beim Lesen der Abenteuer-Heftchen um „Sun Koh – der Erbe von Atlantis“ erlebt. Und einige Jahre später, als Dreizehnjähriger, erneut beim Ausdenken und Schreiben meiner Exposees für „Jim Parkers Abenteuer im Weltraum“:
° Erst die Freude am Einfall (verbunden mit dem Erlebnis des Radfahrens – das ja nicht nur anstrengend und langweilig war!),
° dann die Freude bei der Niederschrift des Einfalls, ihm Gestalt in Form eines kleinen „Heftchens“ zu geben, versehen mit einem Titelbild meines zeichnerisch begabten Freundes Alfred,
° und schließlich die Freude beim erneuten Lesen des Textes. Jeder gelungene Satz – ein kleines Glücksmoment!
Getoppt wurde das alles nach „viel Arbeit“ (Karl Valentin) durch das fertige Produkt, Leihbuch oder Heft damals in den frühen Jahren meines Schreibens. Denn darum geht es dem Autor: Um diese Freude und diese Glücksmomente des kreativen Prozesses. Die damit verbundene „viel Arbeit“ nimmt man gewissermaßen billigend in Kauf.
Genau diese Freude vermittle ich noch heute gerne in meinen Seminaren. Manche Rückmeldung hat dies bestätigt, zum Beispiel diese in einem Brief einer Seminarbesucherin (den ich heute zufällig entdeckte):
„Es war immer so schön bei dir, du hast es verstanden Dinge aus einem heraus zu kitzeln, die sonst im Tiefschlaf waren.“ (Nach dem Märchen-Seminar vom 27. bis 29. Juli 2012). –
Die Höhlenmaler von Lascaux
Vor einigen Tagen habe ich die unglaublich eindrucksvolle Ausstellung zu „Lascaux“ in der kleinen Olympiahalle besucht. In diesen steinzeitlichen Höhlen wurde nicht nur gemalt – und wie! – sondern dort sind auch deutlich erster Ansätze zu Schriftzeichen zu finden. Und ist nicht die ganze Bilderwelt dieser Höhle eine Art „Text“ in Bilderform, wie ein Comic?
So wie mir und anderen Leuten beim Schreiben, Malen, Musizieren dürfte es auch den steinzeitlichen Malern von Lascaux und Altamira und anderer Höhlen des Cro Magnon gegangen sein: Diese Freude am Entstehen der Bilder, dieses immer wieder eintretende Glücksgefühl, wenn etwas gelungen war. Das hat ihre Schöpferlaune während dieses anstrengenden und schwierigen Gestaltungsprozesses in Gang gehalten, der wirklich „viel Arbeit“ war.
Freude und Glücksgefühle – das sind die wesentlichen Erfahrungen beim Schreiben wie bei jedem künstlerischen Prozess. Sie sind es, die einem den immer wieder auftretenden Frust aushalten lassen. „Kunst ist schön – macht aber viel Arbeit“ – Karl Valentin fasst die beiden Aspekte des kreativen Prozesse – die Lust und die Frust – wunderbar in einem kurzen Satz zusammen, der in seiner lakonischen Paradoxie selbst schon wieder Dopamin auslöst.
Gepostet: 06. Sep 2019