Vier-Spalten-Methode

Die Vier-Spalten-Methode ist eine bewährte Technik zum Anfangen eines Textes und zum Auflösen von Schreib-Blockaden.

Hintergrund

Die Methode wurde im Institut für Angewandte Kreativitätspsychologie über viele Jahre in der Praxis der Schreib-Seminare entwickelt und für das Kreative Schreiben nutzbar gemacht. Sie folgt einer Anregung Sigmund Freuds zur Deutung von Träumen. Freud notierte zunächst seinen Traum ; daneben schrieb er seine „freien Assoziationen“ (wie er es nannte) zu den einzelnen Details des Traums. Wir haben dies als Vorgang zunächst in zwei verschiedenen Spalten konzipiert (ähnlich wie bei einem Vokabelheft). Diese nennen wir Logbuch und Text-Projekt oder (eigentlicher) Text (der aber erst ein Roh-Text ist). Dem haben wir später noch zwei weitere Spalten für zusätzliche Einfälle hinzugefügt (Umformungen oder Ergänzungen zum Text-Projekt und Flohmarkt).

Umsetzung

Um einen Text (gleich ob sachlicher oder erzählender Natur) beginnen zu können, während einem gleichzeitig noch allerhand andere Gedanken durch den Kopf geistern, wird ein großes Blatt durch zweimaliges Falten in vier parallele lange Spalten eingeteilt (ggf. kann man dies auf der Rückseite fortsetzen).

Erste Spalte

Die erste Spalte ist für alle Gedanken reserviert, die einem spontan einfallen und die nicht unbedingt mit dem zu schreibenden Text zusammenhängen. Sie kann übertitelt werden mit Logbuch oder (Projekt)begleitendes Tagebuch. Wir empfehlen, beim Einstieg in einen neuen Text zu allererst folgende drei Fragen in diese erste Spalte zu notieren und auch zu beantworten – und sei es nur mit einem knappen „gut“ oder „schlecht“:

  • Wie geht es mir? (z.B. „Ich habe Kopfschmerzen und kann mich nicht konzentrieren“)
  • Was ist mein Projekt, mein Thema? (z.B. „Ich möchte eine neue Variante des „Märchen von den Drei Wünschen“ erfinden“)
  • Wie geht es mir mit diesem Projekt und Thema? (z.B. „Ich bereue schon, für die Weihnachtsfeier in der Firma diesen Text zugesagt zu haben -„)

Das Notieren und Beantworten dieser drei Fragen stellt zum einen sicher, daß man sich selbst nicht völlig aus dem Schreibprozeß herausnimmt – was ein häufiger Grund für Schreib-Blockaden ist. Es sorgt zum anderen aber auch dafür, daß die Tinte und damit die Einfälle zu fließen beginnen.

Zweite Spalte

Die zweite Spalte ist für den eigentlichen Text gedacht, den man gerade schreiben muß, und zwar so, wie er einem im Moment einfällt (Korrigieren und Redigieren sollte man erst nach dem Schreiben der ersten Rohfassung!)

Dritte Spalte

In die dritte Spalte kommen Ergänzungen zum Text, die einem en passent in den Sinn kommen – zum Beispiel daß einem ein bestimmter Ausdruck plötzlich sehr kitschig vorkommt. Oder man bemerkt, daß, man ein Klischee benützt hat.

Statt nun lange zu überlegen, wie man diese Passage besser ausdrücken könnte, empfehlen wir, lediglich einen Vermerk anzubringen und nach Abschluß der Rohfassung einen passenderen Ausdruck zu suchen. (Interessanterweise fällt einem dieser nicht selten schon in einem der nächsten Absätze ein – weil das Vorbewußte ständig weiter mit dem kreativen Prozeß befaßt ist).

Vierte Spalte

Die vierte Spalte ist schließlich gedacht für mögliche neue Ideen zu anderen Projekten, die einem spontan einfallen. Dies nennen wir Flohmarkt – eben deshalb, weil sich dort allmählich ein buntes Sammelsurium von Ideen anhäuft, von denen man zunächst nichts weiß, wie und ob überhaupt man sie brauchen kann (manches erweist sich am Schluß dieses Kreativen Prozesses als durchaus nützlich für den eigentlichen Text in Spalte 2).

Der Kreative Prozess

Die Vier-Spalten-Methode regt den kreativen Prozeß an und dokumentiert ihn zugleich

Die Methode, mit vier Spalten zu arbeiten, hilft, die Gedanken frei fließen zu lassen und gleichzeitig ein Stück weit zu strukturieren. Man muß sich nicht ständig zur Ordnung rufen, wenn andere Gedanken auftauchen als die zum Text passenden, sondern man schreibt einfach weiter – aber eben in einer anderen Spalte.
Gleichzeitig dokumentiert das Verfahren sehr genau den Kreativen Prozeß, der im psychischen Untergrund abläuft (Freud nannte dies das Vorbewußte).

Das erleichtert es einem später, wenn man vielleicht eine andere Text-Variante schreiben möchte, die Entstehung der Gedanken beim Schreiben zu rekonstruieren. Man muß außerdem nicht gleich alle Details beim ersten spontanen Notieren der Gedanken genau ausführen. Besonders beim Flohmarkt (vierte Spalte) ist das hilfreich: Selbst wenn da vielleicht nur ein knapper Hinweis steht (siehe das Beispiel unten in der Tabelle: statt Märchen = SF-Story) – aus dem Kontext läßt sich der Gedankengang leicht wieder nachvollziehen, der diese Idee ursprünglich produziert hat.

Damit machen wir in den Seminaren sehr gute Erfahrungen, wenn Leute sagen: „Mir fällt nichts ein zu diesem Thema“. Dann wird eben dieses „Mir fällt nichts ein“ und alles, was diesen Gedanken sonst noch an Einfällen begleitet, in die erste (Logbuch-) Spalte geschrieben. Dadurch kommt man „in Fluß“ und meistens tauchen nach einer gewissen Zeit plötzlich die „richtigen“ Gedanken auf, also jene, die zum eigentlichen Text gehören und nach denen man vorher vergeblich gesucht hat.

Oder es erscheint unvermutet der lange gesuchte erste Satz für die Geschichte (der ja manchmal der schwierigste ist …)

Ein praktisches Beispiel

Nehmen wir an, es sei in einem Schreib-Seminar diese Aufgabe gestellt worden: „Schreibe eine moderne Variante des Märchens von den Drei Wünschen“. Das Vorbild hierzu ist Johann Peter Hebels Kalendergeschichte zum selben Thema).

Nehmen wir weiter an, Ihnen will absolut nichts zu diesem Thema einfallen. Aber der folgende Satz springt ihnen quasi in den Kopf: „Mir fällt zu diesem Thema überhaupt nichts ein – drei Wünsche – so ein Blödsinn -„

Dann schreiben Sie genau diesen Satz in die erste Spalte (Logbuch): „Mir fällt zu diesem Thema überhaupt nichts ein – drei Wünsche – so ein Blödsinn -„

Die Chance ist recht gut, daß Ihnen bald danach dennoch zum eigentlichen Text ( = zweite Spalte) etwas einfällt.

Und so kann das Ergebnisse dieser über die vier Spalten verteilten, hin- und herspringenden Schreibablaufs in Form einer Tabelle dann aussehen:

Erste Spalte Zweite Spalte Dritte Spalte Vierte Spalte
Logbuch
(Begleitendes Tagebuch)
(eigentlicher)
Text
Ergänzungen
zum Text
Flohmarkt
(weitere Einfälle)
Mir fällt zu diesem Thema überhaupt nichts ein – drei Wünsche – so ein Blödsinn Drei Wünsche – modern (= Titel)
Es war einmal ein kleiner Junge, der wünschte sich sehnlich viel Geld. Denn er hörte dauernd seinen Vater jammern, daß es hinten und vorne fehle und man dieses Jahr wieder nicht nach Hawaii zum Surfen fahren könne und den neuen Computer mit Internetanschluß könne man sich auch nicht leisten.
Da lief der Junge in seiner Not (denn der Vater dauerte ihn sehr) in den nah gelegenen Wald. Er verirrte sich natürlich, denn in den Wald war er noch nie allein gegangen.
Doch zum Glück – denn es dämmerte bereits und in der Ferne schrie schon unheilverkündend ein Käuzchen – begegnete ihm ein altes Hutzelweibchen, das vom Pilzesammeln kam und das Jammern des Jungen hörte.
(In Wahrheit war sie eine mächtige Fee, sah sehr schön aus und konnte allerlei magische Künste – aber davon gleich noch mehr)….
Statt „Hutzelweibchen“ eine andere Bezeichnung? Ist nicht gerade politisch korrekt
Warum ein Märchen? Könnte sich doch als Science Fichtion auch ganz gut machen:
Ein Alien landet auf der Erde und bietet dem ersten Erdenmenschen, der ihm begegnet, an, ihm drei Wünsche zu erfüllen.
Die Sache hat natürlich einen Haken, denn
[denn was??? Dazu wird mir irgendwann schon noch etwas einfallen…]

Anmerkungen

Die Methode eignet sich auch gut, um eine Schreib-Blockade aufzulösen.

Auch wer Schwierigkeiten mit dem umfangreicheren Vier-Spalter hat, sollte diese Methode wenigstens einige Male ausprobieren. Nicht zuletzt, weil sie den gesamten Ablauf der Textentstehung dokumentiert, ist sie nicht nur ein effektives, sondern auch ein sehr interessantes Werkzeug, das zudem faszinierende Aufschlüsse über den persönlichen Arbeitsstil und den eigenen Kreativen Prozeß verschafft.

Es ist zudem klar, daß – wie jedes andere Werkzeug – auch dieses entsprechend geübt werden muß, bevor man wirklich gute Resultate damit erzielt.

Bibliographie

  • Freud, Sigmund: „Der Traum von Irmas Injektion“. (1895) In: Gesammelte Werke Bd. II/III, Kap. 6. Frankfurt am Main 1964 (S. Fischer)
  • Scheidt, Jürgen vom: „Das Große Buch der Träume“. München 1985 (Heyne), Kap. 10
  • ders.: „Die Tinte soll fließen“. In: Heft I/2006 von TextArt – Magazin für kreatives Schreiben
  • Schultz-Henke, Harald: „Der gehemmte Mensch“. Stuttgart 1947 (Thieme)