Dialoge schreiben

Nichts belebt und bereichert einen Text mehr als die Auflösung der Gedanken- und Bilderfolge in einen Dialog. Etwas salopp ausgedrückt, könnte man auch formulieren: „Dialoge sind das Salz in der Suppe der Erzählung“. Man kann es mit diesem „Salz“ allerdings auch übertreiben – so wie William Gaddis in seinem legendären Roman „J.R.“. Der besteht nämlich nur aus Dialogen, und das auf über tausend Seiten. Die Geschichte ist brillant formuliert und erzählt (und ins Deutsche übersetzt!) – aber man tut sich nach einiger Zeit enorm schwer, die Figuren auseinanderzuhalten, denn anders als beim Theaterstück findet man keine Namen dem jeweiligen Dialogteil vorangestellt. Unterbricht man die Lektüre zu lange – kommt man kaum wieder in die Geschichte hinein. Schade. Aber allemal ein beachtenswertes literarisches Curiosum, ähnlich dem „Ulysses“ von James Joyce oder gar dessen „Finnegan´s Wake“.

Dialog hat in einer Erzählung sehr verschiedene Aufgaben:

1.
Der Dialog lockert auf, bringt Abwechslung, belebt den Text (Sherlock Holmes und sein Dr. Watson)

2.
Im Dialog lassen sich Informationen im Wechsel von Frage-und-Antwort auf elegante Weise vermitteln: rasch und komprimiert,. (Man sollte den Dialogpartner entsprechend wählen: ein unwissendes, neugieriges Kind, „Dr. Watson“ als Gesprächspartner für Sherlock Holmes).
Dies ist besonders in Geschichten mit historischem oder sehr exotischen Hintergrund sowie in der Science Fiction wichtig, wo ja Szenarien mit entsprechendem Lokal- und Zeitkolorit vermittelt werden müssen.

3.
Im Dialog können die Gesprächspartner durch ihre Art zu reden deutlicher sichtbar bzw. hörbar werden: durch besondere Redeweisen (Primitivform: Japaner, die kein „R“ sprechen können; schon eleganter: Berufsjargon, Anglizismen, eigentümliche Redewendungen, Teenager-Slang, flapsiger Stil, umständliche Formulierungen oder besonders zackiger Stakkato-Stil – wie reden Männer, wie reden Frauen, wie reden Angehörige verschiedener Berufe? Ausländer? Angehörige verschiedener Schichten? Besonders gewählt, bis gestelzt, besonders simpel bis hin zur Einsilbigkeit: Der „Schweiger“. Wie „redet“ ein Stummer, ein Blinder, ein Stotterer?

4.
Dialog treibt die Handlung voran, vermittelt Spannung. Man kann sogar in einem Roman ganze Hörspiel- bzw. dramatische Sequenzen einbauen, wo es dramaturgisch paßt.
(siehe H.W.Franke, „Die Stahlwüste“. Dort war es allerdings eine Notlösung, weil das Hörspiel schon fertig vorlag.)

5.
Durch geschickt formulierte Dialoge kann auch Atmosphäre erzeugt werden – etwa eine Stimmung von Gefahr durch rasche kurze Dialogfetzen.

6.
Verschiedene Dialogformen sind möglich: Zwischen Menschen, zwischen Mensch und Tier (Hund, Katze), auch mit unbelebten Objekten (der „Kontrabaß“ im gleichnamigen Drama von Patrick Süskind). Auch direkt an den Leser kann man sich wenden – ihn quasi zum Partner eines stummen Dialogs machen: „Und, was hältst du von dieser Entscheidung, werter Leser?“.

7.
Innerer Dialog ist ebenfalls möglich – um zwei Innere Figuren oder Teilpersönlichkeiten sichtbarer zu machen. Dafür eignet sich auch die Form des Simulierten Interviews (in dessen Verlauf man als Autor mit sich selbst verschiedene Aspekte eiens Problems oder Konflikts dikustiert).

8.
Spezialform: Der Briefwechsel (Briefroman als eigene literarische Form). Brief um Brief ergibt sich hier ebenfalls eine Art schriftlicher Dialog. Moderne Variante: E-Mails werden ausgetauscht. Reinen Dialog findet man auch im Theaterstück, im Hörbuch und im Drehbuch für einen Film (das zusätzlich mit Regieanweisungen garniert wird).

9.
Ähnliche Funktionen hat der Innere Monolog bzw. auch der direkte (laute, äußere) Monolog. Sigmund Freud hat sich z.B. in seinen Vorlesungen immer wieder auch an bestimmte Zuhörer gewandt, hat sie nicht direkt angesprochen, aber praktisch in Rede und Gegenrede sein Thema entwickelt.

10.
Von alledem einmal abgesehen, erfüllt Dialog auch noch eine wichtige typographische und allgemein ästhetische Form: Er lockert die Textmenge auf angenehme Weise auf.

Bibliographie
Franke, Herbert W.: Die Stahlwüste. München 1963 (Goldmann)
Gaddis, William: J R. (New York 1975). Frankfurt am Main 1996 (Zweitausendeins).
Scheidt, Jürgen vom: Kreatives Schreiben – HyperWriting. (1989) München 2006 (Allitera).
ders.: Kurzgeschichten Schreiben. (1994) München 2006 (Allitera).