Ruth Zenhäusern zum Gedenken

Ruth Zenhäusern war 1979 Mitbegründerin der Münchner Schreib-Werkstatt und des 1995 daraus hervorgehenden Instituts für Angewandte Kreativitätspsychologie (IAK) in München. Sie leitete seit 1981 Seminare, vorwiegend im Bereich des Kreatives Schreiben und als Kunsttherapeutin. Sie war ausgebildete Gruppenleiterin für ThemenZentrierter Interaktion (TZI) und Kunsttherapeutin (APAKT in München).
Infolge ihrer Parkinson-Erkrankung hatte sie sich seit 2014 aus der Seminararbeit zurückgezogen.
Am 21. Februar 2016 ist sie, nach langem und schwerem Parkinson-Leiden, friedlich gestorben.

Aufgewachsen war Ruth in der Schweiz, in Spiez am Thunersee. Sie hatte über viele Jahre internationale Erfahrungen gesammelt (u.a. in England, Frankreich und Spanien) und lebte seit 1979 in München.

Ihre Spezialität: Die Kombination von autobiographisch Erlebtem und phantasievoller Ausgestaltung, was schon im Titel ihres Lieblingsseminars zum Ausdruck kam: Biographie & Phantasie .

Ihre Devise war: “Schreiben ist Gewürz im Alltag”:

„Zu meinem Alltag gehört das Schreiben wie die feinen Zutaten zu einem guten Essen. Es bietet Genuss, wenn die Gedanken aufs Papier fließen – und es hilft mir als Denk-Werkzeug, um mir über Dinge klar zu werden. Aus Träumen und Phantasien werden Geschichten, und erfundene Figuren begleiten mich durch den Tag.“

DER NACHRUF

Ein erfülltes Leben ist unter großem Leid zu Ende gegangen. Meine Frau Ruth Zenhäusern, am 29. November 1946 in Erlenbach im Simmental im Berner Oberland geboren, verstarb an den Folgen ihrer Parkinson-Krankheit am 21. Februar 2016.
Ihr Tod war eine Erlösung – und auf wunderbare Weise schnell und friedlich, binnen weniger Minuten. Aber zu dem „Sack Salz, den wir miteinander gefressen haben“ (wie sie es einmal auf ihre pointierte Art ausdrückte), war in den vergangenen zwei Jahren mindestens noch ein zweiter „Sack Salz“ hinzugekommen, großes körperliches und seelisches Leid. Was für ein Segen, dass dies nun überstanden ist!

Jürgen vom Scheidt


Ruth Zenhäusern Abb.1: Ruth Zenhäusern

Ruth ist vor einer Woche, am Sonntag, den 21. Februar, um 19:10 Uhr verstorben. Ich war bisher nicht in der Lage, eine Todesanzeige für die Zeitung in Worte zu fassen. Dies wird auch – wie mir jetzt beim Schreiben bewusst wird – nicht geschehen:
°  Zum einen deshalb, weil das Internet der moderne Platz für so einen Abschied ist und Ruth eine sehr moderne Frau war und mit den neuen Medien sehr vertraut,
° zum anderen weil dies die einzige angemessene Weise ist, ein so erfülltes Leben zu würdigen und den Menschen die sie kannten, noch einmal in Ausschnitten zugänglich zu machen und in Erinnerung zu rufen  – und denen, die sie nicht kannten, ein wenig einen Eindruck davon zu verschaffen, wie die Frau war, die mit mir das kleine „Institut für Angewandte Kreativitätspsychologie (IAK)“ vor 38 Jahren gegründet hat.
Mein Privatleben geteilt hat sie schon früher, seit Herbst 1976. Geheiratet haben wir 1981, bald darauf kam unser Sohn Jonas zur Welt.

Ruth war eher die stille kreative Person im Hintergrund, die ihr Können und ihre Erfahrung vor allem im kleinen Kreis zeigen konnte: in den fast tausend Seminaren, die sie allein oder zusammen mit mir durchführte.
Aber ihre Kreativität war immer unübersehbar präsent, zeigte sich oft in Kleinigkeiten, die erst bei genauerer Betrachtung ihre Bedeutung entfalten. Als wir unsere (diese) Website für die Seminare starteten, suchten wir nach einem passenden Namen, der schon durch seine Formulierung „spricht“, nämlich über das, worum es uns damals ging und heute noch immer geht:
Talente zu fördern. Nicht nur Schreibtalente, sondern überhaupt brachliegende Talente.
Das Akronym „iak“ war schon in verschiedenen Varianten besetzt und auch wenig aussagekräftig.
„Warum nicht iak-talente.de?“ schlug Ruth vor. Knapp und aussagekräftig – „to the Point“, wie es auf Englisch heißt*.
* Sie liebte die englische Sprache, die sie fließend behrrschte, so wie sie fließend Französisch und Spanisch sprach und Deutsch sowieso, nicht nur Hochdeutsch – sondern auch das geliebte Berndütsch ihrer Schweizer Heimat im Berner Oberland, in Spietz am Thunersee (das ja wirklich eine eigene Sprache ist und nicht nur ein hochdeutscher Dialekt, wie manche irrtümlich meinen).

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Abb.2: Ruth (rechts) im Gespräch mit Monika Neuser (1943-2014) in deren Malstudio (Foto: Ulrike Merkel 2014)

Ruths Bilder

Hier auf der Website (später vielleicht auf einer eigenen Site) werden nach und nach einige Bilder von Ruth veröffentlicht. Dieses hier (sie nannte es „Die Sambatänzerin“) ist beim Fotografieren etwas zu dunkel geraten – es wird demnächst eine angemessenere Variante geben. Warum gerade dieses Bild? Weil es viel vom Wesen Ruths zeigt – auch ihre „dunkle“ Seite. Wir haben uns beim Tanzen kennengelernt, am 29. September 1976 in Malente. Muss mehr gesagt werden?

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Abb.3: Die Sambatänzerin (Akrylfarben, 2010)

Musik haben wir mehr geteilt als alles andere –
–  die Wanderungen im Wallis und anderswo vielleicht ausgenommen. Vor allem den Blues liebte sie, aber auch die indische Musik, Gustav Mahlers Symphonien und vieles mehr. Das erste Stück, das sie mir 1976 bei einem Besuch bei ihr in Basel vorspielte, war „Sitting on the Dock of the Bay““ von Otis Redding, das zweite „With a Little Help from My Friends“ von Joe Cocker. In beiden Songs ist viel von dem enthalten, was Ruths Wesen ausmachte. Unzählige Male haben wir zusammen die Blu-ray des Live-Concerts Secret World von Peter Gabriel angeschaut und die DVD mit dem Amsterdam-Konzert von Tina Turner.
Ruths heitere, beschwingte Seite kommt für mich am besten zum Ausdruck in einem Song von John Lee Hooker: „This is hip“.

Ganz aktuell teilten wir die Musik von Anouska Shankar, der Tochter des indischen Sitar-Spielers Ravi Shankar; vor einigen Jahren, am 22. Mai 2010, erlebten wir sie live bei einem Konzert auf Schloss Elmau bei Garmisch-Partenkirchen: Anoushka Shankar live at Carnegie Hall. Sehr berührt hat uns beide die CD, auf der Anoushka mit ihrer Stiefschwester Norah Jones 2013 den Tod ihres gemeinsamen Vaters Ravi Shankar betrauert: Traces of You.
Die kubanischen Rhythmen und spanischen Songs des Buena Vista Social Club im gleichnamigen Film von Wim Wenders haben es Ruth genauso angetan wie die Bandit Queen, die der pakistanische Sänger Nusrat Fateh Ali Khan begeistert feiert. Diese wilde Banditenkönigin hat es tatsächlich gegeben – eine Figur wie die Rote Zora – nur noch wesentlich kämpferischer, mit echten Überfällen auf Banken und Polizeistationen, wo sie sich für Unterdrückung und Vergewaltigung rächte, ins Gefängnis geworfen und im Triumph wieder daraus freigelassen wurde.
Aus dieser Liste mit Musik, die Ruth liebte und die wir viel zusammen hörten, kann wer sie kannte und mochte, ein wenig in diese akustische Welt eintauchen, diese so ganz andere Seiten der Wirklichkeit transportiert als das Malen und das Schreiben sie erfassen und weitergeben. Hier noch mehr davon:
Peter Gabriels „Secret World“ – dieses wunderbar beschwingte und kreative Konzert auf Blu-ray haben wir mehr als ein Dutzend Mal zusammen angeschaut.
Desgleichen Tina Turners Amsterdam-Concert „Wildest Dream Tour“ von 1996 auf DVD.
Gerade wieder im Regal entdeckt, angeregt durch einen Artikel im Freitags-Magazin der Süddeutschen Zeitung: Laurie Andersons CD „Big Science“ – schräg und überraschend und immer wieder sehr melancholisch – eine bluesige Mischung, die Ruth sehr schätzte.
Dazu jede Menge Bob Dylan: Tangled up in blue“ war einer von Ruths Favoriten (auf der CD Bob Dylan: Blood on the Tracks).
Gerne hörten wir auch die Symphonien von Gustav Mahler. Bei den Klassikern gab es in der Oper Die Perlenfischer (Les pêcheurs de perles) von George Bizet ein Lied, das Ruth sehr berührte – die genaue Quelle ist leider derzeit nicht auffindbar.
(Forts. folgt)
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Abb.4: Wilder Vogel (Akrylfarben, 2008)
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Ins Kino ist Ruth auch immer gerne gegangen
Ich erinnere mich noch gut, dass ihr zuletzt besonders Der Duft der Frauen gefiel, mit Al Pacino in der Rolle eines erblindeten Offiziers.
Großen Spaß hatten wir immer mit dem Animationsfilm Der gestiefelte Kater mit Antonio Banderas als (amerikanischer) Sprecher der Titelrolle.

Ruths Texte

Hier auf der Website (später vielleicht auf einer eigenen Site) werden nach und nach auch Texte von Ruth veröffentlicht. Wer ihre Lucy-Geschichten kennt, weiß um ihre heitere Seiten und den schrägen Blick, den sie auf die Welt um sich herum haben konnte – aus der Sicht eines kleinen altklugen Mädchens. Und hier geht´s zur ersten dieser Geschichten:
Lucy will nicht in die Schule.
Aus Anlass ihres eigenen Todes berührt es sehr, wie sie aus dem Blickwinkel ihres Alter Egos, der „kleinen Lucy, den Tod des Großvaters beschreibt. Genau genommen gibt es zwei Geschichten dieser Art.
Die erste Geschichte, Lucy und Opas Seele hat mit dem Tod des wirklichen Großvaters Xaver Zenhäusern in Visp im Wallis zu tun (der ursprünglich im Dorfteil Zenhäusern bei Bürchen wohnte, oberhalb von Visp).
Von der anderen Geschichte, Lucy besucht den Opa sei hier verraten, dass es sich in Wahrheit (wie der Name und die Lebensdaten „1924-2002“ bekunden), um den Versuch handelt, das Ableben ihres eigenen Vaters Rafael Zenhäusern zu verarbeiten. In diesem Zusammenhang bekommt das Bild des Wilden Vogels (s. oben) eine zusätzliche Dimension, denn Ruth malte es in Erinnerung an ihren Vater und dessen Ableben.

Dass Ruth auch aus einer anderen Sicht auf die Welt schreiben konnte, bezeugt ihre köstliche Frechheit Der Faun. Viel Vergnügen mit ihm!

#244 / Aktualisiert: 01. Feb 2022 (28. Feb 2016)